Erfahrungen mit dem Tiefenrausch

Diskussionen über den Tiefenrausch

Das Thema Tiefenrausch führt immer wieder zu sehr hitzigen Diskussionen. Einige dieser Fragen möchten wir hier beleuchten – ohne den Anspruch zu haben, allgemein gültige Wahrheiten zu verkünden. Aber natürlich bezieht sich die Argumentation auf wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema – die Studien, die wir hier erwähnen, werden alle auf der vorherigen Seite näher besprochen.

Ist Sauerstoff narkotisch?

Eine Frage, die gerne diskutiert wird, ist die, ob der Sauerstoffanteil im Gas mit als narkotisch gerechnet werden soll, oder nicht. Müssen wir davon ausgehen, dass Sauerstoff die Narkose schlimmer oder weniger schlimm macht? Ist Sauerstoff narkotisch oder nicht?

Der Theorie der Fettlöslichkeit nach müsste Sauerstoff – ein extrem fettlösliches Gas – narkotisch sein. Gleichzeitig wird Sauerstoff aber metabolisiert, wird also vielleicht gar nicht in für eine Narkose ausreichenden Mengen an den Synapsen angereichert.

Leider ist es unmöglich, die Narkosewirkung von Sauerstoff unter hohem Druck direkt zu messen, da hier lange vor einer möglichen narkotischen Wirkung die Toxizität eine Grenze setzt. Hinweise lassen sich aber aus einigen Studien zu Nitrox herauslesen.

Ein Beispiel dafür ist ein Versuch in einer Druckkammer, bei dem 10 Probanden in einer Druckkammer entweder Luft oder EAN40 geatmet haben. Bei einem simulierten Tauchgang auf 30m wurde hier vorher, bei Ankunft in der Tiefe, nach 20 Minuten (direkt vor dem Aufstieg), bei Erreichen der Oberfläche und 30 Minuten nach dem Tauchgang ein CFFF-Test durchgeführt. Das Ergebnis: In beiden Gruppen steigt die Aufmerksamkeit zu Beginn des Tauchgangs an, mit Nitrox deutlich mehr als mit Luft. Zum Ende hin, und auch danach an der Oberfläche, lässt sie dann aber deutlich nach – mit Nitrox allerdings deutlich weniger als mit Luft, und nach dem Tauchen erreicht man direkt wieder ein normales Level.

Wenn man diese nachlassende Aufmerksamkeit als ein Zeichen der Narkose verstehen will, kann man diese Studie als Hinweis darauf lesen, dass Nitrox weniger narkotisch ist als Luft – und in der Konsequenz, dass Sauerstoff wahrscheinlich nicht oder zumindest nicht so stark wie Stickstoff narkotisch wirkt.

Ebenso gibt es aktuelle Untersuchungen der Gehirnströme von Probanden die Luft bei Normaldruck sowie reinen Sauerstoff bei normalem und erhöhtem Druck geatmet haben, und die darauf hindeuten, dass bei erhöhtem Druck das Atmen von reinem Sauerstoff andere Veränderungen der Gehirnaktivität hervorruft als sie beim Atmen von Luft bekannt sind und als vielleicht mit der Narkosewirkung in Verbindung stehend gelten.

Die Frage ist aber in der Praxis wirklich viel weniger relevant, als man bei den hitzigen Debatten vermuten würde: Man mag daran glauben, dass man auf 40m mit einem EAN28 weniger Narkose spürt als mit Luft. Bei den 7% Unterschied dürfe es schwierig sein, mehr als einen Placebo-Effekt nachzuweisen – aber da es nicht schadet, ein EAN28 zu verwenden, kann das ja einfach jeder tun, der es mag. Wenn es hingegen darum geht, bei einem Trimix die EAD zu bestimmen, ist der Unterschied zwischen der Annahme, O2 sei oder sei nicht narkotisch, so gering, dass die ganze Diskussion eher akademischer Natur ist.

Kann man Tiefenrausch trainieren?

Sehr viele Taucher berichten, dass sie erfahren genug sind, um gar keinen Tiefenrausch mehr zu haben – sie sind überzeugt, er lasse sich wegtrainieren. Aber ist das wirklich so?

Es gibt in der Tat zumindest Hinweise darauf, dass Erfahrung auf unterschiedliche Arten dabei hilft, mit einem Tiefenrausch klarzukommen. In der Psychomotorik-Studie schneiden diejenigen besser ab, die mehr Taucherfahrung haben – ein Hinweis darauf, dass sich der Umgang mit hohen Drücken vielleicht tatsächlich trainieren lässt. Auch in der Atemgasvergleich – Studie sind die Ergebnisse der Probanden, alle erfahrene Taucher, besser als in der Flachnarkose – Studie, an der unerfahrenere Taucher teilgenommen haben.

Zusätzlich ist es so, dass in Studien zur Hirnchemie Veränderungen nach mehrmaliger Einwirkung eines hohen pN2 nachgewiesen werden konnten. Ob das tatsächlich ein Zeichen für eine Gewöhnung ist und welche Auswirkungen es auf die unter Wasser relevanten Fähigkeiten hat, ist aber nicht klar.

Was man sehr wohl trainieren kann ist der Umgang mit dem Rausch. Man kann sich daran gewöhnen, nicht mehr ganz so klar in der Birne zu sein. Und man kann vor allem die eigenen Tauchfertigleiten so trainieren, dass sie ohne Nachdenken funktionieren – mechanische Fähigkeiten bleiben ja, wie wir auch in der Psychomotorik-Studie gesehen haben, weitgehend erhalten.

Ist der Tiefenrausch bei Dunkelheit und Kälte stärker?

Gerade Taucher, die auch viel in tiefen Seen unterwegs sind, beschreiben häufig, dass der Tiefenrausch bei Kälte und Dunkelheit etwas ganz anderes sei als in warmen, lichtdurchfluteten Gewässern. Was ist da dran?

Zunächst einmal lassen sich keine Unterschiede bei verschiedenen Tauchbedingungen nachweisen – zumindest, wenn man der „Umgebungsbedingungen – Studie“ Glauben schenkt. Aber: In dieser Studie wurden auch keine wirklich dunklen und kalten Bedingungen getestet.

Jetzt gibt es zwei Dinge, die hier tatsächlich einen Einfluss haben können.

Zum einen taucht man in kaltem Wasser üblicherweise im Trocki, und oft auch mit einem Doppelgerät. Man muss also schon mal mehr Equipment bewegen als in einem dünnen Neopren – und das ist ein wenig anstrengender. Anstrengung in Kombination mit dem in der Tiefe immer dichteren Atemgas kann aber dazu führen, dass der CO2 Spiegel sich erhöht – und das wiederum fühlt sich ganz schön beklemmend an: CO2 ist stark narkotisch, und es löst zudem eine Reaktion aus, die durchaus im Verdacht steht, aus einem „milden, euphorischen“ Tiefenrausch einen unangenehmen, schlimmen zu machen. Der mit einem erhöhten CO2 Spiegel einhergehende Lufthunger, das Gefühl von Atemnot, kann beunruhigende Gefühle verstärken. Es kann also wirklich eine physiologische Ursache haben – die aber nicht nur bei Kälte eine Rolle spielt, sondern auch bei anderen Anstrengungen, z.B. wenn man gegen eine leichte Strömung ankämpfen muss.

Zum anderen kann man sich sicher gut vorstellen, dass Dunkelheit in Kombination mit Tiefe einfach etwas beunruhigend ist. Dieselbe Narkose kann sich also einfach anders anfühlen. Deshalb ist sie aber nicht unbedingt stärker, man nimmt sie nur anders wahr.

Kann man etwas gegen Tiefenrausch tun?

Wenn man sich an den Tiefenrausch eigentlich nicht gewöhnen kann und er sehr tagesformabhängig ist – kann man dann trotzdem etwas tun, um das Risiko so gering wie möglich zu halten?

Streng genommen gibt es da nur eins: Den pN2 unterhalb der Schwelle halten, die problematisch wird. Und das geht auf zwei Arten: Man ersetzt einen Teil des Stickstoffs durch Helium, oder man bleibt flacher.

Natürlich kann es hier keine harte Grenze geben, der Effekt der Narkose setzt wie wir gesehen haben nach und nach ein, und wird mit höherem pN2 immer stärker. Vielleicht eine brauchbare Richtlinie ist Folgendes: Wenn man wirklich vorsichtig sein will – bis 30m ist der Tiefenrausch für die meisten Menschen in den meisten Situationen nicht besonders einschränkend. Im Bereich zwischen 30m und 40m spüren die meisten Menschen eine nennenswerte Wirkung, und es lohnt sich hier bereits, gut über mögliche Konsequenzen nachzudenken und wenn es unangenehm wird sofort flacher zu gehen, oder auch gleich über alternative Atemgase nachzudenken. Ab 40m steigen die Auswirkungen sehr nennenswert an. Tauchgänge in diese Tiefen sind mit Luft möglich und werden auch gemacht. Aber sie erfordern unbedingt eine informierte Entscheidung, Vorsicht, und das Wissen, dass im Zweifel die Wahl eines anderen Atemgases die sicherere Option sein wird. Und vor allem sollte man aus der maximal mit Luft betauchbaren Tiefe keine Mutprobe und keine Feuertaufe zu machen versuchen.

 

Mal über Tiefenrausch reden?

 “Ich persönlich bin sehr empfänglich für den Tiefenrausch. Ich mag ihn und fürchte ihn wie den Untergang… . L’ivresse des grandes profondeurs hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber Alkohol: keinen Kater. Wenn man es schafft, aus seiner Zone zu entkommen, wird das Gehirn sofort wieder klar, und es gibt keinen Schrecken am Morgen.
Ich kann keine Berichte über einen Rekordtauchgang lesen, ohne den Champion fragen zu wollen, wie betrunken er war.”
(Jacques Cousteau: Die stille Welt)

“(…) wenn du dieses Geräusch hörst, hast du es mit Luft vergeigt, du warst zu tief mit Luft. Man nennt es das ‘Wah-Wah!’ “ (Bob Raimo)

Der gute alte Tiefenrausch. Für einige eine Bedrohung, für andere ein wunderschöner Moment. Manchmal ändert sich das auch von einem Tag auf den anderen.
“Nitrogen rapture” klingt gefährlich. Aber “Tiefenrausch”, und noch schöner “l’ivresse des grandes profondeurs” – das würde ich jetzt eher für ein schönes Erlebnis halten.

Diese Unterschiede in der Beschreibung entsprechen den Unterschieden im Erleben. Ein Tiefenrausch beginnt – die ersten Male, wenn man noch ganz unerfahren ist – etwas erschreckend. Man fühlt sich nicht mehr so ganz normal, aber man ist doch unter Wasser!
Erst wenn das “unter Wasser sein” nicht mehr bedrohlich ist, kann auch der Tiefenrausch zu einem angenehmen Erlebnis werden. Man weiss, dass man die Situation unter Kontrolle hat, auch wenn ein kleiner Rausch anflutet. Den genießt man dann, und wenn es an der Zeit ist, geht man wieder hoch. Die Zeit bis dahin verlängert sich tatsächlich mit der Erfahrung.
Das ist das, was ich normalerweise mit “Tiefenrausch” meine. Meine Tiefe dafür sind so 40-55m.

Dann gibt es den Tiefenrausch, der unangenehm wird. Man merkt, dass es sich schwerer atmet, die Wahrnehmung ist verschwommen, man findet das alles irgendwie ganz schön bedrohlich – dann sollte man hoch. Und das auch dann, wenn man dabei schöne Gesänge hört. Ein paar der ganz Alten, die es überlebt haben, erzählen vom “Wah-wah”, dem Geräusch der anflutenden Bewusstlosigkeit. Wenn man den hört, war es wirklich zu tief. Und wenn man dann noch davon erzählen kann, hat man Glück gehabt.
Ich bleibe inzwischen lieber auf Tiefen, auf denen ich weiß, dass Überleben keine Glückssache ist. Welche Tiefe das ist? Geht euch nichts an. Aber nein, 30m sind es nicht…

Weil man aus den verschiedenen Studien nur sehr wenig  darüber erfährt, wie Taucher ihren ganz persönlichen Tiefenrausch erleben, sammeln wir zu diesem Thema Beiträge.

Du möchtest erzählen, wie es dir in der Tiefe geht? Gerne! Wir sammeln Berichte, die wir zusammenstellen und weitererzählen können – mit deinem Namen oder anonym, ganz wie es dir am liebsten ist.

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