Gradientenfaktoren
Das Mass der Übersättigung
Gewebe bis zum M-Wert aufzusättigen scheint keine gute Idee zu sein, und auch bei Werten darunter kommen Fälle von DCS bereits vor. Wie viel Abstand wollen wir also in welchem Moment des Tauchgangs zu diesen Werten halten?
Gradientenfaktoren sind Modifikationen des Bühlmann-Modells, mit denen man versucht, das Modell neueren Erkenntnissen und Theorien anzupassen. Sie erzeugen eine Art „Abstand“ zu den M-Werten, aber gleichzeitig auch eine deutliche Modifikation: Man verändert das Modell, ohne die Konsequenzen tatsächlich empirisch überprüft zu haben. Deshalb ist ein wenig Vorsicht angebracht. Im Bereich der Gradientenfaktoren sind die Unsicherheiten ziemlich groß, und tatsächlich kann es sein, dass nicht jede dieser Modifikationen einen realen Sicherheitsgewinn erbringt!
Gradientenfaktoren (GF)
Was sind diese Gradientenfaktoren?
Wir haben im Kapitel über M-Werte diese Grafik mit der M-Linie kennengelernt. Wenn man bis an diese Grenze auftaucht, erreicht das Gewebe eine Übersättigung, die seinem M-Wert entspricht.
Wenn man nicht bis zu dieser Linie auftaucht, sondern schon vorher stoppt, hält man eine Art „Sicherheitsabstand“ zu dieser vielleicht zu riskanten Grenze ein. Eine solche Grenze kann man mit den Gradientenfaktoren ziehen: Man verschiebt die M-Linie nach unten – oder man verbiegt sie sogar ein wenig.
Wie genau? Zunächst einmal schaut man sich die Distanz zwischen (aktuellem) Umgebungsdruck und M-Wert an und nimmt davon einen Prozentsatz. Dieser wird dann der neue M-Wert.
So weit, so einfach. Üblicherweise werden die Gradientenfaktoren aber als ein Paar angegeben, bei denen die erste Zahl kleiner ist als die zweite. „GF60/80“ z.B., oder „GF30/70“, oder welche Kombination auch immer.
Hier werden während des Aufstiegs zwei unterschiedliche Punkte gesetzt:
Wann möchte ich beim Aufstieg zum ersten Mal anhalten, folglich welchen Inertgas-Überdruck der (zu diesem Zeitpunkt führenden) Gewebe toleriere ich in der Tiefe? Und mit welchem Sicherheitsabstand möchte ich die Oberfläche erreichen?
Diese Abstände werden durch den Gradient Factor Low (GF Low) und den Gradient Factor High (GF High) definiert.
Der GF Low bestimmt den maximal akzeptierten Inertgas-Überdruck im Gewebe bei Erreichen des ersten Stopps, der GF High den maximal akzeptierten Inertgas-Überdruck im Gewebe bei Erreichen der Oberfläche. Wenn man hier unterschiedliche Werte nimmt, ergibt sich nicht einfach eine verschobene Linie, sondern eine Kurve hin zu dem höheren Wert – in der Darstellung (an einem sehr unüblichen 20/80) schwarz eingezeichnet.
Alle Gewebe gleichzeitig im Blick
Subsurface Heatmaps
Wenn man im Blick behalten möchte, welche Gewebe zu jedem Zeitpunkt des Tauchgangs sättigen, welche entsättigen und wie nah sie an den Grenzwerten sind, kann man das in einer sehr einfachen Form ablesen: In den Heatmaps, die Subsurface als Darstellungsform gewählt hat.
Für eine grundlegende Einführung in Subsurface gibt es hier eine Zusammenfassung: Tauchgänge planen mit subsurface
Nehmen wir einen beliebigen Tauchgang. Wenn wir den bunten Streifen unten, die Heatmap, ganz genau anschauen, wird klar, dass hier 16 unterschiedlich farbige Linien übereinanderliegen. Diese Linien sind die 16 Gewebe (Kompartimente) des Bühlmann Modells: Oben das schnellste, unten das langsamste Gewebe.
Alle Gewebe sättigen während des Tauchgangs auf. Dieser Prozess ist in unterschiedlichen Blautönen dargestellt, je heller, umso weiter ist das Gewebe von der Sättigung entfernt. Lila bedeutet eine fast vollständige, schwarz eine vollständige Sättigung. Diese misst sich natürlich immer am Umgebungsdruck: Geht man tiefer, entfernt man sich vom Zustand der Sättigung und sättigt dann langsam auf, jedes Gewebe in einer unterschiedlichen Zeit. Taucht man auf, wird aus dem aktuellen Sättigungszustand des Gewebes ein Überdruck, die Entsättigung setzt ein.
Die Entsättigung wird in Ampelfarben dargestellt: Grün bedeutet, dass der maximal erlaubte Wert – der M-Wert – noch sehr weit entfernt ist, bei gelb kommt er näher, im orangenen Bereich werden 60-80% des M-Werts erreicht, und rot steht für den M-Wert. Wird die Heatmap weiß, ist diese Grenze überschritten worden.
Man kann nun sehen, welche Gewebe genau zu welchem Zeitpunkt des Tauchgangs betroffen sind– und zwar hat man alle Gewebe auf einmal im Blick, eine Möglichkeit, die keine andere Darstellungsform so einfach bietet.

