Ist Nitrox sicherer als Luft?

Was ist sicherer: Mehr oder weniger Sauerstoff

Sauerstoff hat Vorteile: Es ist kein Stickstoff – das heißt, wir nehmen weniger Stickstoff auf und haben dadurch längere Nullzeiten. Leider kann eine erhöhte Menge an Sauerstoff unserem Körper auch zu schaffen machen, deshalb sollten wir im Blick behalten, wie lang wir uns einem erhöhten Sauerstoffpartialdruck aussetzen können, und die kritische Grenze von 1,4 bar pO2 nicht überschreiten.
Zum Thema der Sauerstofftoxizität – ab wann ist Sauerstoff giftig? – schauen wir uns noch mal genauer an, wie die Grenzwerte festgelegt wurden und von welchen Risiken wir ausgehen müssen. Danach zeigen wir, wie es in der Praxis funktioniert, den Sauerstoffgehalt einer Flasche zu messen – das sicherste Mittel zur Prävention, das uns zur Verfügung steht. Am Ende sollst du dann selber ein paar Überlegungen anstellen, welche Risiken du in Kauf nehmen würdest und welche nicht.

Sauerstofftoxizität

Als Grundregel haben wir gelernt, einen maximalen Sauerstoffpartialdruck von 1,4 bar nicht zu überschreiten.
In unserem Alltag unter Wasser müssen wir auch nicht viel mehr wissen. Trotzdem ist es aber interessant, etwas genauer zu schauen, welche Formen der Sauerstofftoxizität es gibt, welche davon beim Tauchen tatsächlich relevant ist, und mit welcher Art von Risiko wir es eigentlich zu tun haben.

Sauerstoff gilt den meisten als etwas Gutes, sogar „gesundes“: Der Inbegriff von frischer Luft. In manchen Großstädten gibt es sogar Sauerstoffbars, in denen man einige Minuten Sauerstoff atmen kann.
Aber: Sauerstoff ist auch ein recht aggressives Gas. Rost ist ein Oxidationsprodukt, er entsteht, wenn Sauerstoff mit Eisen (auch im Stahl) reagiert. Jetzt haben wir zwar keine Stahlplatten im Körper, aber auch da kann der Sauerstoff Schäden verursachen. Sauerstoff ist ein sehr reaktives Gas, und bildet als Nebenprodukt der Zellatmung freie Sauerstoffradikale, Reactive Oxygen Species (ROS). Diese sind zwar nicht grundsätzlich schädlich, stehen aber in Verdacht, in zu großen Mengen Schäden verschiedener Art verursachen zu können.
Beim Tauchen wären die möglichen Probleme, bei denen wahrscheinlich die ROS eine Rolle spielen, die beiden Formen der Sauerstoffvergiftung.
Die weniger dramatische, die bei normalen Sporttauchgängen keine Rolle spielt, ist die pulmonale Toxizität, also eine Lungenschädigung, wenn man zu lange zu hohen Sauerstoffdrücken ausgesetzt ist. Diese entwickelt sich je nach Druck erst nach mehreren Stunden. Es ist zwar interessant zu wissen, dass es das gibt – für uns aber praktisch irrelevant.

Die Form der Sauerstoffvergiftung, vor der wir beim Tauchen Angst haben, sind Vergiftungserscheinungen im Zentralen Nervensystem, der Paul-Bert-Effekt.

Dabei handelt es sich um eine wirklich ernste Sache: Es kann zu Krampfanfällen kommen, und die enden unter Wasser meist tödlich. Die Schwierigkeit an dieser Art von Toxizität besteht darin, dass es keine bekannte „Dosis“ gibt, ab der Vergiftungserscheinungen einsetzen, sondern die Symptome sehr willkürlich nach extrem unterschiedlichen Zeiten einsetzen. Bei Behandlungen in der Druckkammer werden höhere Drücke akzeptiert als die Grenzwerte beim Tauchen, und das oft über Stunden – dennoch kommt es nur extrem selten zu Krampanfällen.

Gerade weil der Moment, in dem es zu viel wird, nicht vorhersehbar ist, die Konsequenzen im Wasser aber fatal, ist dennoch äußerste Vorsicht angebracht. Deshalb ist der Grenzwert in den Jahrzehnten, seitdem Nitrox getaucht wird, niedriger geworden – man möchte einfach sicher sein, nicht wegen eines minimalen Vorteils ein massives Risiko einzugehen. Den Grenzwert von 1,4 bar pO2 während des Tauchgangs sollte man wirklich ernst nehmen. Aber wenn man ihn aus Versehen mal ein paar Sekunden überschritten hat, oder wenn man jemandem helfen muss, der ein paar Meter zu tief ist, kann es beruhigend sein zu wissen, dass keine Krampfanfälle in weniger als drei Minuten bekannt sind, und dass beim Einsatz von Nitrox als Dekogas auch lange 1,6 bar pO2 geatmet werden. Wenn man für 1,4 bar pO2 plant und sich an diese Grenze hält, hat man also einen gewissen Spielraum, sollte es bei einem Tauchgang mal zu Problemen kommen.

Sauerstoffgehalt messen

Um eine Sauerstoffvergiftung vermeiden zu können, ist das Wichtigste, genau zu wissen, was wir atmen.
Dazu ist es unerlässlich, vor jedem Tauchgang mit Nitrox zu analysieren, was in der Flasche ist. Die meisten Analyzer sind wirklich simpel, und funktionieren eigentlich immer gleich.

Analyzer kalibrieren

Wenn man den Analyzer einschaltet – einfach auf den Knopf drücken bei den einfachen Modellen – sollte er 20,9 anzeigen, den Sauerstoffgehalt in der Luft. Zeigt er etwas anderes, muss man ihn kalibrieren, üblicherweise indem man den Knopf lang drückt. Es wird „CAL“ und „run“ oder etwas ähnliches angezeigt, und am Ende kann man die erwarteten 20,9 ablesen.

Flasche laaaaangsam aufdrehen

Zum Messen brauchen wir einen sanften konstanten Gasfluss, dafür muss man ein Gefühl kriegen. Damit dem Sensor nichts passiert, drehen wir am besten zuerst auf und halten dann erst das Messgerät an die Flasche.

DICHT an das Flaschenventil anlegen

Der Analyzer sollte direkt mit dem Ventil abschließe, wenn Luft mit eingesogen werden kann, wird das Ergebnis verfälscht.

Gas strömen lassen, bis sich die Anzeige nicht mehr verändert

Ein bisschen Geduld: Solange die Werte noch steigen, ist er noch nicht fertig. Es sollte schon mal 3-4 Sekunden derselbe Wert dastehen.

Ergebnis und MOD aufschreiben und die Flasche markieren

Nur die selbst gemessene Flasche tauchen

Analyzer

Wie funktionieren O2-Sensoren?

Glücklicherweise sind die Analyzer wirklich sehr simpel, zeigen einfach eine Zahl an, und alles ist gut. Aber wie genau kommt das Messgerät zu dem Ergebnis? Wie funktioniert der Sensor, mit dem der Sauerstoffgehalt gemessen wird? Wie lange halten die Geräte? Und woran kann man merken, dass sie nicht mehr zuverlässig funktionieren?

In der Plastikhülle sitzt als Herz des Analyzers ein galvanischer Sauerstoffsensor. Bei manchen Geräten kann man den austauschen, was immer ein Vorteil ist – dieses Teil hat nämlich eine eingeschränkte Lebensdauer.

In diesem Sensor befindet sich eine Art Brennstoffzelle: Eine Blei-Anode, eine Kathode, und Kaliumhydroxid als Elektrolyt. Bei Berührung mit Sauerstoff finden hier chemische Reaktionen statt, bei denen das Blei in Bleioxid verwandelt und gleichzeitig ein elektrischer Strom erzeugt wird. Dieser Strom ist messbar, und da er proportional zum eingebrachten Sauerstoff steigt, kann man aus ihm auf den Sauerstoffgehalt schließen.

Bei dieser Reaktion wird das Blei im Sensor nach und nach verbraucht, er wird also nicht ewig halten. Und die Reaktion findet immer statt, wenn der Sensor mit Sauerstoff in Berührung kommt – auch dann, wenn man das Gerät nicht benutzt. Die Zellen haben also unabhängig von der Nutzung eine eingeschränkte Lebensdauer, verbrauchen sich aber bei intensiver Nutzung schneller.

 

Wenn die Zellen schon länger in Benutzung sind, wird irgendwann der messbare Strom immer niedriger. Deshalb ist es normal, dass man immer mal wieder kalibrieren muss. Wenn ein Sensor älter wird und die Leistung nachlässt, äußert sich das darin, dass der Bereich, in dem der erzeugte Strom linear zum Sauerstoffgehalt liegt, kleiner wird.
Was das bedeutet, kann man in dieser Grafik (aus http://www.advanceddivermagazine.com/articles/sensors/sensors.html) sehr gut nachvollziehen. Hier sind drei Sensoren dargestellt, wie sie in einem anderen Anwendungsbereich, beim Rebreathertauchen, zum Einsatz kommen. Die Werte, die diese Sensoren liefern, laufen bei höheren pO2s auseinander: Der älteste Sensor misst hier schon nicht mehr exakt. Diese Abweichung wird mit der Zeit immer deutlicher und setzt vor allem schon bei niedrigeren Drücken ein.
Um sicherzustellen, dass der Sensor eines Analyzers noch funktioniert, ist es daher sinnvoll, ihn von Zeit zu Zeit an reinem Sauerstoff zu kalibrieren. Das bedeutet einfach, dass man direkt an der O2 Flasche misst – wenn die erwarteten 99% oder 100% angezeigt werden, ist der Sensor noch gut genug für unseren Einsatzbereich. Wenn man hier weniger angezeigt bekommt, sollte man den Sensor tauschen, ab jetzt kann es gefährlich werden. Wenn der Sensor eine geringere Spannung erzeugt, gibt der Analyzer einen entsprechend niedrigeren Sauerstoffanteil aus – wir bekommen also niedrigere Werte angezeigt als das, was wir real in der Flasche haben. Und dieser Fehler kann gefährliche Konsequenzen haben.

O2 Messungen drei verschiedene Sensoren

Risiken einschätzen

Nicht immer läuft es mit dem Nitrox so, wie man es sich wünscht. Der Analyzer ist feucht geworden oder liegt zuhause, Flaschen werden verwechselt, ein paar Meter unter der MOD liegt ein wunderschöner Schmetterlingsrochen, den man gerne fotografieren möchte….
In welchen Fällen sollten wir uns entscheiden, lieber nicht zu tauchen, und wann kann man seinen Tauchgang so planen, dass er trotz aller Unsicherheiten sicher abläuft?

Dazu ein paar Szenarien zum Nachdenken. Du findest jeweils ein Szenario. Lese es dir durch, denk darüber nach, rechne nach was du dazu brauchst.

Eine „Lösung“ gibt es nicht, aber ein paar Entscheidungshilfen, und dann einen Lösungsvorschlag – der in allen Fällen nur eine Möglichkeit darstellt. Die Entscheidung, wie viel Risiko für dich ok ist, triffst nur du selbst.

    Szenario 1

    Du bist auf einem Tauchboot, auf dem fast alle Nitrox tauchen. Ein paar Flaschen mit Luft sind aber auch da. Die Membrananlage liefert normalerweise EAN32.
    Leider ist der einzige Analyzer gerade ins Wasser gefallen.
    Gehst du trotzdem tauchen?

    • Unter welchen Umständen ja, unter welchen nicht?
    • Was kannst du tun, damit dein Tauchgang in jedem Fall sicher ist?
    Entscheidungshilfe
    1. Wir sollten sicher wissen, welche Gase auf dem Boot sein können. Wenn das Nitrox mit einer Membrananlage hergestellt wird, können wir von der Crew erfahren, welchen Prozentsatz diese Anlage maximal liefern kann. Mehr als 40% kann es nicht sein, oft werden schon von der Anlage her nicht mehr als 32% erreicht. Wenn allerdings mit reinem Sauerstoff hantiert wird, dann kann es immer passieren, dass doch deutlich mehr als 32% in der Flasche landen. Mit reinem Sauerstoff auf 20m hätten wir einen pO2 von 3 bar – da ist eine Sauerstoffvergiftung extrem wahrscheinlich.
      2. Die maximale Tiefe wird vom Sauerstoffgehalt vorgegeben. Wir sollten sicherstellen, dass wir auf keinen Fall in einen kritischen Bereich kommen. Die Grundzeit wird aber vom Stickstoffgehalt bestimmt – auch die sollten wir im ungünstigsten Fall, wenn wir „nur“ Luft in der Flasche haben, einhalten.
    Mögliche Lösung

    Wenn Gase mit mehr Sauerstoff an Bord sein können, gehe ich nicht tauchen. Wenn ganz eindeutig klar ist, was technisch maximal möglich ist, gehe ich schon.

    In diesem Fall nehme ich die MOD des stärkstmöglichen Gases (40%, oder 32%, oder was die Anlage halt hergibt…), lasse meinen Computer aber auf Luft eingestellt. Dadurch bin ich innerhalb der Nullzeitgrenzen, wenn ich doch Luft erwischt habe, und innerhalb der Tiefengrenzen, wenn ich Nitrox erwischt habe.

    Szenario 2

    Du bist mit deinem Buddy an einem Hang unterwegs, der sich immer weiter in die Tiefe zieht. Ihr habt eine Tiefe von 25m geplant und deshalb ein EAN36 dabei, um schön lange tauchen zu können.
    Als du dich umdrehst siehst du, dass dein Buddy langsam immer tiefer geht. Er sieht dich nicht, und scheint dich nicht wahrzunehmen.
    Wie weit gehst du hinterher?

    Entscheidungshilfe

    1. Hast du die Möglichkeit, ihn auf dich aufmerksam zu machen? Shaker, Tröte, Lampe?

    2. Welchen pO2 erreichst du bei welcher Tiefe?

    3. 1,6 bar pO2 werden regelmäßig auch über längere Zeiträume geatmet, auch 1,8 bar pO2 waren sehr lange Standard.

    4. Es sind keine Fälle bekannt, in denen es in weniger als 5 min Einwirkzeit zu einer O2-Vergiftung gekommen ist

    Mögliche Lösung

    Je früher ich meinen Buddy erwische, um so ungefährlicher ist es für uns beide – ich würde also schnell hinterhergehen und ihn wieder mit hochbringen.
    Bis zu welcher Tiefe? Mit EAN36 erreiche ich bei 40m 1,8 bar, das sollte auf jeden Fall drin sein. Alles danach ist eine sehr individuelle Entscheidung, die mit der eigenen Erfahrung und Können zu tun hat – und damit, in welcher Beziehung man zum Buddy steht. Dafür gibt es keine Musterlösung.

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