Tiefenrausch: Die Studienlage

Ist Tiefenrausch messbar? (Relativ) aktuelle Studien

Anekdoten über den Tiefenrausch gibt es viele – sehr viele. Aber was davon lässt sich auch empirisch nachweisen? Was ist sicher, und was ist wirklich einfach nur Taucherlatein? Was ist bekannt, und was weiß man schlicht nicht?

In diesem Kapitel besprechen wir nach und nach die Studien, die es zum Thema Tiefenrausch gibt. Welche Argumente die Ergebnisse in einigen aktuellen Diskussionen liefern können, zeigen wir auf der nächsten Seite.

CFFF – Tests

Critical Flicker Fusion Frequency: Flimmernd zur Rauschvermessung?

CFFF-Tests werden relativ häufig eingesetzt, um das Level an Aufmerksamkeit zu bestimmen.
Was wird dort gemacht?  Ein LED-Licht flackert in einer Frequenz, die sich immer weiter erhöht. Irgendwann nimmt ein Mensch das Flackern nur noch als konstantes Licht wahr, unsere Fähigkeit noch die einzelnen Zeitspannen in denen der Punkt auftaucht und verschwindet auseinander zu halten ist also begrenzt. Wann genau das so ist, kann bei verschiedenen Personen in unterschiedlichen Momenten stattfinden – also bei einer unterschiedlichen Flacker-Frequenz. Wirklich “Durchgehend” ist der Punkt in Wahrheit nie, er flackert nur immer schneller. Der Test wird also darauf gemacht, bis zu welcher Frequenz die Testperson das Flackern noch als solches erkennen kann.

Meistens geschieht der Übergang der Wahrnehmung von „Flackern“ zu „durchgehendem Licht“ bei einer Frequenz zwischen 22 und 90 Hz, also bei 22-90 Impulsen pro Sekunde.

Die Frequenz im Moment in dem die Testperson die Wahrnehmung des Übergangs angibt wird notiert: Das ist die Critical Flicker Fusion Frequency (CFFF), also die Frequenz bei der für die Testperson das Flackern des Punktes zu einem kontinuierlichen Licht verschmilzt.

Diese Frequenz hängt zum einen von Umweltfaktoren (Art des Lichtreizes, Dunkelanpassung des Auges, ein Beispiel dafür ist die Situation im Kino, bei der schon relativ wenige Bilder pro Sekunde als durchgehender Film wahrgenommen werden) ab. Zum anderen aber kann sie ein Maß für das allgemeine Aktivierungsniveau sein: Je länger man das Flackern wahrnimmt, umso wacher und aufmerksamer scheint man zu sein. Um die Umwelteinflüsse auszuschließen, wird deshalb zuerst einmal kalibriert.

Damit man messen kann, wie die Aufmerksamkeit bei verschiedenen Dingen nachlässt, wird zunächst ermittelt, ab wann eine Person im “Normalzustand” das Flackern als durchgängiges Licht sieht. Dann wird die Person verschiedenen Dingen ausgesetzt – z.B. einem höheren Umgebungsdruck – und wiederholt den Test. Die beiden Werte werden verglichen.
Wenn schon bei einer niedrigeren Frequenz konstantes Licht gesehen wird, wird eine geringere Gehirnaktivität angenommen als bei einer Verschmelzung erst bei hohen Frequenzen.

Mit CFFF-Tests wurden mehrere Studien durchgeführt. Die Frequenz wurde hier als Zeichen für Aufmerksamkeit bewertet. Es wurde also versucht zu messen, wie die Aufmerksamkeit beim Tauchen zu- oder abnimmt.

Flachnarkose-Studie

Balestra, C et al. “Persistence of critical flicker fusion frequency impairment after a 33 mfw SCUBA dive: evidence of prolonged nitrogen narcosis?.” European journal of applied physiology vol. 112,12 (2012)

Als erstes wäre da zunächst einmal eine Studie aus 2012, in der es darum geht, ob die Narkose nach einem 33m Tauchgang auch an der Oberfläche noch anhält. Wir nennen sie im Weiteren „Flachnarkose-Studie“ – sie bewegt sich am unteren Bereich dessen , wo eine Narkose zu erwarten ist.

Was haben die Forschenden konkret gemacht? Sie haben einige fitte Männer für 20 Minuten auf 33m tauchen lassen, in warmen, gemütlichen Bedingungen, und sie vorher, dabei, und nachher CFFF-Tests machen lassen.
Man hat also gemessen, wann bei dem Tauchgang die Frequenz zu- und abnimmt, ab der die Testpersonen ein Flackern als durchgehendes Licht wahrnehmen, und leitet daraus ab, wie aufmerksam eine Person ist.

Resultat: Zu Beginn des Tauchgangs erhöht sich die Aufmerksamkeit, lässt aber schnell nach und bleibt noch nach dem Tauchgang​ etwas niedriger als vorher.
Atmen von Sauerstoff nach dem Tauchgang erhöht die Aufmerksamkeit schnell und signifikant​.

Zu der Studie kann man einige Fragen stellen. Zunächst einmal ist es durchaus einleuchtend, dass man zu Beginn eines einigermaßen tiefen Tauchgangs ganz besonders aufmerksam ist, sich dann aber entspannt und die Aufmerksamkeit nachlässt. Dass Menschen unter Wasser weniger aufmerksam sind als an Land, ist wahrscheinlich für jeden unmittelbar klar: wir kennen das, wir haben auch schon besprochen, dass die Situation unter Wasser eben für viele ungewohnt ist. Auch das man danach noch etwas müde ist, erscheint plausibel.
Aber ist das, was hier gemessen wurde, wirklich ein “Tiefenrausch”? Kann es sich auf einer so moderaten Tiefe nicht schlicht um das handeln, was Menschen unter Wasser auf jeder beliebigen Tiefe passiert? Einige Studien legen nahe, dass schon in sehr flachen Tiefen von nur 5m deutliche kognitive Beeinträchtigungen nachweisbar sind. Man kann das natürlich auch schon Narkose nennen – aber ob es wirklich an einer narkotischen Wirkung eines Gases liegt, ist nicht nachweisbar.

Umgebungsbedingungen – Studie

Dieselben Autoren haben die Ergebnisse einige Jahre später, 2016, noch mal unter verschiedenen Bedingungen auf die Probe gestellt. Dafür waren sie auf Teneriffa unter realen Tauchbedingungen (Atlantik, Wasserbewegung, aber gute Sicht und relativ warm), in einem Indoor-Divecenter mit entsprechender Tiefe, und zum Vergleich in einer Druckkammer.

Auch hier wurden wieder CFFF-Tests durchgeführt. In allen drei Umgebungen entsprach das Ergebnis in etwa dem, was ​auch in der vorherigen Studie schon gezeigt wurde. Zwischen Umgebungen mit guter Sicht und erträglich warmer Temperatur lässt sich kein Unterschied erkennen.

Diesen Unterschied hat aber eigentlich auch nie jemand ernsthaft behauptet. Was jedoch viele Taucher berichten ist, dass der Tiefenrausch nachts oder in kalten, dunklen Tauchumgebungen stärker sei (oder zumindest stärker wahrgenommen wurde!). Beides wurde NICHT untersucht, wir wissen darüber also nach wie vor nichts Sicheres.

Aber: es erscheint natürlich unmittelbar plausibel, dass ein Rausch eher als beängstigend empfunden wird als euphorisch, wenn die Umgebung dunkel und trüb ist….

Atemgasvergleich – Studie

Mal wirklich auf eine interessante Tiefe gegangen sind dann Rocco et al 2019: Luft, Trimix und Heliox im Vergleich (im Weiteren: “Atemgasvergleich-Studie”)​.

​Hier wurden echte Tauchgänge auf 50m durchgeführt, mit einer Grundzeit von 20 Minuten. Auch hier haben die Teilnehmer am Anfang, am Ende, und auf 5m vor dem Aufstieg CFFF-Tests gemacht. Beteiligt waren lauter junge, gesunde Männer. Um sie Statistik nicht zu verfälschen, durften die wenigen angemeldeten Frauen nicht mitmachen. Hier sieht man ein Problem, das leider sehr viele  Studien beim Tauchen haben: die Gruppe der Testpersonen ist meist sehr klein, und bildet dann auch nicht die Diversität von realen Taucherinnen und Tauchern ab.
Resultat: Zu Beginn des Tauchgangs erhöht sich die Aufmerksamkeit, lässt dann langsam nach, bleibt aber erhöht.​ Dabei sind die Resultate besser, je geringer der Stickstoffanteil im Atemgas ist.
Das steht den vorherigen Ergebnissen diametral entgegen. Wurde bisher immer von einer verminderten Aufmerksamkeit ausgegangen, und dass diese durch CFFF-Tests nachgewiesen werden könne, sind unsere Taucher auf 50m mit Luft durchwegs aufmerksamer als unsere weniger erfahrenen Probanden auf 30m.

Psychomotorik-Tests

MATB-II und anderes: Psychomotorik erfassen?

Bis hierher haben wir zwar ein paar interessante Studien gesehen, aber sie haben alle ein Problem gemeinsam: Gemessen wird nur die CFFF, die Interpretation als „Aufmerksamkeit“ ist genau das, eine Interpretation. Und ob das wirklich das eine relevante Zeichen für einen Tiefenrausch ist, kann man trefflich diskutieren.

Was wollen wir wissen, wenn wir wirklich tief unterwegs sind? Wir wollen unseren Tauchgang sicher durchführen – das geht relativ mechanisch, das ist trainierbar – und wir wollen bei Problemen angemessen, flexibel und schnell reagieren. Das wird in einem Rauschzustand schwierig – wie man nach zwei Maß Bier zwar vermutlich noch den Zündschlüssel drehen und einen Gang einlegen, im Straßenverkehr bei einem unerwartet auftauchenden Hindernis dann vielleicht aber nicht mehr schnell genug bremsen kann, bekommt man mit einem Tiefenrausch vielleicht unter Wasser unerwartet auftretende Probleme auch nicht mehr in den Griff. Und das kann gefährlich werden….

Deshalb sind Studien mit weitergehenden Tests ausgesprochen aufschlussreich. Auf unterschiedliche Arten kommen psychomotorische Fähigkeiten in den Blick: Was macht die Tiefe mit dem Gedächtnis? Kann man noch reagieren? Wir gut kann man Informationen verarbeitet? Und kriegt man Probleme in den Griff?
Einige Studien greifen dafür auf die MATB-II Tests der NASA zurück, die für relativ simple Geräte entworfen sind. Getestet werden hier Fähigkeiten, die man z.B. von Fluglotsen erwartet, aber da es sich um relativ unspezifische simple Aufgaben handelt, können die Ergebnisse gute Hinweise auf allgemeine Fertigkeiten liefern.

Psychomotorik-Studie

Etwas komplizierter aufgebaut als die simplen CFFF-Tests ist eine Studie von Freiberger et al. 2016: Einfluss von N2, O2 und CO2 auf die Psychomotorische Leistungsfähigkeit (im Weiteren: “Psychomotorik – Studie”)​​​ Diese ist frei verfügbar – wer sie lesen möchte, findet sie oben verlinkt. Sie lohnt sich wirklich!

Hier hat man andere Voraussetzungen als bei Studien im Wasser: Bei der Navy-Studie sitzen die Probanden mit dem Kopf aus dem Wasser in einem Pool in einer Druckkammer, und werden dort dem Druck ausgesetzt, der gemessen werden soll. Hier wurden pN2 bis zu 5,6 bar, pO2 bis 1,22 bar und ein erhöhter pCO2​ in Ruhe und in Bewegung eingesetzt, um das Spektrum an Gasmischungen bezüglich Luft/Nitrox angemessen abzudecken. In dieser Position haben sie dann MATB-II Tests gemacht.
Wie sie reagieren, wie schnell sie reagieren, wie sie Informationen verarbeiten, wie gut welcher Teil ihres Gedächtnisses funktioniert – das wurde hier genau gemessen.

​Was die Studie ergeben hat:

  • Die Aufmerksamkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit leiden unter hohen pN2
  • Auch das Gedächtnis lässt unter Einfluss von zu viel N2 nach
  • Die Reaktionszeit bei Dingen, die mit dem Gedächtnis zu tun haben, wird auch durch O2 und CO2 eingeschränkt
  • Planung und Problemlösungskompetenz sind bei höheren pN2 und pCO2 deutlich eingeschränkt
  • Motorische Fähigkeiten werden durch den pN2 nicht beeinflusst
  • Motorische Fähigkeiten sind trainierbar: Taucher und Personen, die regelmäßig Videospiele machen, schneiden besser ab

Das vielleicht interessanteste Ergebnis an dieser Studie war gar nicht so sehr, wie die Kandidaten unter bestimmten Gasdrücken tatsächlich abgeschnitten haben, sondern wie sie selbst die Ergebnisse einschätzen.

Hier ist einmal dargestellt, wie die Kandidaten ihre Performance selber einschätzen – und wie die Ergebnisse tatsächlich aussahen.

Es ergab sich ein durchaus der Selbstwahrnehmung mancher betrunkener Autofahrer vergleichbares Ergebnis: Diejenigen, die wirklich kaum noch etwas auf die Kette gekriegt haben, fühlen sich durchweg ziemlich gut. Die Selbsteischätzung derjenigen, die potentiell einen klaren Kopf hatten, war dem gegenüber durchweg schlechter.

Ein hoher pN2 führt also sehr eindeutig zu Leistungseinschränkungen, die von den Betroffenen aber nicht immer wahrgenommen werden. Das ist wirklich wichtig zu wissen, wenn jemand erzählt, er würde ja gar keinen Tiefenrausch haben!

Gefühlte vs gemessene Performance bei Tests unter hohen Gasdrücken
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