Tauchen in der Höhe

Nullzeitgrenzen (und Deko) neu bestimmen

Wie wir schon gesehen haben, ist der Luftdruck in den Bergen niedriger als auf Meereshöhe, und zwar fällt er um etwa 0,1 bar pro 1000m. Das hat Auswirkungen auf die Nullzeitgrenzen.

Für die Frage, ob eine Übersättigung nach dem Auftauchen zu Blasen führen könnte ist ja nämlich nicht nur der Druck im Gewebe relevant, sondern vor allem auch der Überdruck im Verhältnis zum Umgebungsdruck. Nur wenn der Überdruck groß genug wird, entstehen Blasen und in der Folge vielleicht Probleme. Wenn also der Umgebungsdruck niedriger ist, wäre der Überdruck bei gleicher Sättigung höher – deshalb müssen die Nullzeitgrenzen kürzer sein.

Man kann sich das im Prinzip ganz einfach vorstellen: Wenn ich auf 1000m Höhe nur einen Umgebungsdruck von 0,9 bar habe, verdopple ich den Druck schon auf 9m Tiefe statt wie im Meer auf 10.

Diesen Unterschied kann man – vereinfacht – mit einem Korrekturfaktor erfassen. Dieser setzt einfach den aktuellen Druck ins Verhältnis zum Druck auf Meereshöhe.

Diesen Faktor kann man verwenden, um die tatsächlich getauchte Tiefe umzurechnen auf ihr Äquivalent in Meereshöhe: Die Tiefe mal den Korrekturfaktor ergibt die Tiefe, mit der man die Nullzeitgrenzen planen muss.

Korrekturfaktor Bergseetauchen mit Beispiel

Um sich das etwas einfacher zu machen, gibt es Tabellen, in denen diese Rechnung einfach schon gemacht wurde. Hier kann man einfach ablesen kann, wie sich eine tatsächliche Tauchtiefe in die theoretische Tiefe übersetzt, mit der man die Nullzeit bzw. Dekompression planen muss.

Also, zum Beispiel: Wenn man auf 1200m Höhe einen Tauchgang auf 30m plant, ist das so, als wäre man auf 34m. Von hier aus geht man in jede beliebige Nullzeittabelle und plant den Tauchgang, als wäre man auf 34m – bleibt aber auf 30m.

 

Theoretische Tiefe in unterschiedlichen Höhenlagen

Daneben existieren Tabellen, die für einen bestimmten Höhenbereich gelten. Die Bühlmann-Tabellen, wie hier als Beispiel, gibt es für verschiedene Höhenstufen bis hin zu 3500m.

Natürlich könnte man vor jedem Tauchgang eine soche Tabelle zur Hand nehmen, den Tauchgang damit planen, und dann diesen Plan entsprechend tauchen. Aber weil das kompliziert und fehleranfällig ist, wird es heute eigentlich niemand mehr so machen. Warum auch? Immerhin kann der Tauchcomputer das exakter berechnen.

Tauchgang auf 30m für 20 min mit EAN32, geplant in Subsurface

Damit der Computer richtig rechnen kann, muss man den meisten Modellen sagen, in welcher Höhe man sich befindet. Die Drucksensoren messen den absoluten Druck, und ziehen dann eben das als Oberflächendruck ab, was man eingestellt hat.

Man findet im Manual des Computers üblicherweise eine Erläuterung, welche Höhnbereiche man einstellen kann. In diesem Beispiel, einer recht typischen Einteilung, kann man sehen, dass der Bereich bis 700m keine besondere Einstellung erfordert. Darüber gibt es drei Stufen – höher als 3700m sehen die meisten Computer nicht vor.

Einige Computer können sich aber selbst kalibrieren: Sie messen vor dem Tauchgang den Druck, und sind damit nicht mehr anfällig für menschliche Fehler. Man muss dabei nur sicherstellen, dass der Computer vor dem Tauchgang angeschaltet ist und den Luftdruck erkennen kann

Mares Bergseestufen

Was die Computer berechnen sind angepasste Nullzeitgrenzen oder auch eine angepasste Deko. Das basiert nicht auf Voodoo, sondern auf den Gewebedrücken unter der gleichbleibenden Annahme, dass spezifische Überdrücke toleriert werden. Diese werden in der Höhe nur schneller erreicht.

Wenn man jetzt faktisch einfach nur darauf achten muss, dass der Computer richtig eingestellt ist – wie kann man dann Tauchgänge in der Höhe planen?

Nichts leichter als das: In Planungssoftware wie z.B. Subsurface kann man einfach die Höhe eingeben, in der man taucht. Dann plant man den Tauchgang wie gewohnt, wird aber früher Dekostopps angezeigt bekommen, als das auf Meereshöhe der Fall wäre. Wenn man innerhalb der Nullzeitgrenzen bleiben will, muss man eben die Zeit in der Tiefe entsprechend verkürzen.

 

Bühlmann und die Schweizer Berge: Kann das Dekomodell das?

Wir haben gesehen, dass wir im Prinzip unseren Computer einfach in Bergseemodus stellen, vielleicht als kleine zusätzliche Sicherheit auch noch einen Faktor konservativer – und können beruhigt tauchen gehen.

Dennoch ist es ganz interessant zu überlegen, welche Anpassungen denn notwendig sein könnten, damit die Dekomodelle auch noch in der Höhe funktionieren. Dafür die gute Nachricht zuerst: Eigentlich muss man gar nichts Besonderes machen. Der Gottvater der Dekompression, Albert Bühlmann, hat Höhe in seinen Modellen nämlich schon mitgedacht. Kein Wunder, immerhin war er in Zürich tätig und hatte die Schweizer Bergseen als Referenz.

Diese Grafik stellt die M-Werte, also die kritische Übersättigung, in dem (schon lange nicht mehr gebräuchlichen) Workman-Modell und bei Bühlmann dar. Auf der x-Achse der Umgebungsdruck, auf der y-Achse der Gasdruck im Gewebe, in der Mitte die Linie, die eine komplette Sättigung darstellt. Darüber liegt die M-Linie, der für jede Tiefe tolerierbare Überdruck. Wie man hier sehen kann, geht diese Linie bis Null. Man kann also statt dem Überdruck auf Meereshöhe auch den bei etwas niedrigerem Umgebungsdruck aus demselben Modell entnehmen.
Da die M-Linie Steigung etwas größer als eins hat, der Überdruck in der Tiefe also immer etwas größer sein darf als bei Erreichen der Oberfläche, wird dieser Gradient, der tolerierte Überdruck, in der Höhe etwas weniger. Daraus ergibt sich ein Unterschied, der über das Umrechnen mit einem festen Korrekturfaktor hinausgeht.

M Values Workman und  Bühlmann

Mit dem Modell könnte man nun Tauchgänge in beliebigen Höhen berechnen. Das ist trotz der guten empirischen Validierung des Modells auch in Bergseen dennoch keine gute Idee: In extremen Höhen stößt das Modell wahrscheinlich an Grenzen, und Faktoren außerhalb des Tauchens spielen eine große Rolle. In dem Bereich, in dem es Menschen ohne nennenswerte Höhenanpassung gut geht, kann man sich auf die Dekomodelle wohl verlassen. Wenn zusätzliche Faktoren ins Spiel kommen, werden Tauchgänge experimentell: Es gibt einfach keine große Datenbasis über Tauchgänge auf 4000m. Wer dort taucht, macht immer ein Stück weit Experimente an sich selbst. Große Vorsicht ist dann also angebracht.

Jenseits der Nullzeitgrenzen: Mögliche Risiken

Jetzt kommt beim Tauchen in den Bergen aber noch etwas dazu: Oft ist man direkt vor dem Tauchgang erst hochgefahren, hat also im Körper noch eine höhere Stickstoffsättigung als die Umgebung. Man ist bereits vor dem Tauchgang faktisch erst mal am dekomprimieren.

Es handelt sich dabei nicht um enorme Mengen, und während der Fahrt und bei der Vorbereitung findet auch schon eine gewisse Entsättigung / Angleichung statt. Dennoch kann es bei Tauchgängen nah an den Grenzen sinnvoll sein, etwas konservativer zu planen als auf Meereshöhe, um diesen Effekt auszugleichen.

Um in etwa eine Vorstellung davon zu haben, über was für eine „Vorsättigung“ man hier spricht: Angenommen, man fährt von 0 auf 1000m. Mit gerundeten 80% Stickstoff in der Luft wäre unser Körper auf Meereshöhe mit 0,8 bar Stickstoff komplett gesättigt. Wenn man jetzt auf 1000m aufsteigt, beträgt der pN2 (Stickstoffpartialdruck) nur noch 0,72 bar. Alle Gewebe sind also erst mal leicht übersättigt. Nehmen wir mal an, wir würden uns auf den Berg beamen und dann sofort ins Wasser springen, was macht diese Vorsättigung dann aus? Wir haben einen relativen Überdruck 0,08bar pN2 – das entspricht dem Unterschied den ein Meter Wassertiefe ausmacht. Nicht viel, aber genug, um die Tauchzeit ein wenig zu verkürzen.

Diese Tatsache wird häufig so dargestellt, dass man damit umgehen müsse wie mit einem vorangegangenen Tauchgang. Das trifft den Kern der Sache nicht. Zwar haben wir schon einen leichten Überdruck in den Geweben, was wir aber nicht haben sind Bläschen, die von einem vorangegangenen Tauchgang durchaus da sein könnten.

Etwas konservativer zu tauchen ist auch noch aus weiteren Gründen wichtig: Zum einen reagiert, wie wir zu Anfang gesehen haben, unser Körper auf die Höhe. Bei relativ geringen Höhendifferenzen wie 1000m ist das zwar nur ein sehr geringer Effekt, aber auch das bedeutet eine gewisse Belastung. Und: Bergseen sind meistens kalt, und Dekompression wird weniger effizient, wenn man friert. Auch das sind gute Argumente, es einfach etwas ruhiger angehen zu lassen.

Kälte

Ein weiterer durchaus wichtiger Faktor, der nicht direkt mit der Höhe zu tun hat, ist die Wassertemperatur, und auch die Umgebungstemperatur an Land. Seen sind oft sehr kalt, man braucht also einen angemessenen Kälteschutz – Trocki, dicke Kopfhaube, Handschuhe, vielleicht sogar eine Heizweste.

All das macht den Tauchgang anstrengender, was ein weiterer Grund ist, die Grenzen lieber etwas sicherer zu setzen. Des Weiteren kann wie schon angesprochen die Kälte Einfluss auf die Qualität der Dekompression haben.

Wenn man zum Ende des Tauchgangs hin friert, beginnt der Körper, die Durchblutung zu drosseln und das Blut in der Körpermitte zu konzentrieren. Das bedeutet, dass Stickstoff aus der Peripherie, aus den schlecht durchbluteten Geweben, nicht mehr so gut abtransportiert wird. Die Dekompression wird ineffizienter, das Risiko steigt. Es ist zwar nicht abschließend nachgewiesen, welchen Einfluss genau die Kälte auf die Dekompression hat, und es gibt einige recht widersprüchliche Studien. Dennoch liefert vor allem eine große Studie aus der US Navy durchaus relevante Daten.

Gerth, Wayne et al: The Influence of Thermal Exposure on Diver Susceptibility to Decompression Sickness. NEDU. 2007

Hier wurden Taucher im Wasser (aber in einer Druckkammer unter kontrollierten Bedingungen) sehr unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt, und zwar in verschiedenen Paarungen: Sehr warm oder sehr kalt während der Grundzeit, und beides noch mal in der Phase der Dekompression. Daraus ergeben sich vier Varianten: warm/warm, warm/kalt, kalt/warm, und kalt/kalt. Alle Tauchgänge gingen auf 40m, aufgetaucht wurde nach den Navy Tabellen so, wie man das nach einem 70 Minuten Tauchgang tun würde. Dabei wurde die Länge des Tauchgangs in verschiedenen Runden des Experiments erst langsam erhöht, und nicht mehr fortgeführt, wenn zu viele DCS-Fälle eingetreten sind.

 Was dabei passiert ist:

In der Gruppe, die in der Sättigungsphase warm, während der Dekompression aber kalt war, kam es schon bei relative kurzen Tauchzeiten zu so vielen Fällen, dass längere Zeiten gar nicht mehr getestet wurden.

Es scheint also durchaus sinnvoll anzunehmen, dass Kälte zum Ende des Tauchgangs ein erhöhtes Risiko einer DCS mit sich bringt. Neben dem generellen Komfort ist das auf jeden Fall ein Grund, sich warm genug anzuziehen, und Tauchgänge im kalten vorsichtiger anzugehen.

DCS Fälle bei Deko in kaltem Wasser, NEDU
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